„Wir stehen ein für verbindliche soziale Mindeststandards wie auch absolute Bürgerrechte”
Özlem Demirel, Spitzenkandidatin der Linken zur Europawahl, im Interview
Frau Demirel Sie kandidieren für das Europaparlament, warum? Es ist ein gewaltiges Problem, dass autoritäre Rechte auch innerhalb der Europäischen Union stärker werden. In einer Zeit, in der Hass, Hetze und Rassismus um sich greifen oder gar ein Innenminister Seehofer davon spricht, dass Migration die Mutter aller Probleme wäre, braucht es Widerspruch. Diese Politik bedroht das Leben von Menschen, etwa wenn es um Abschiebungen von LSBTTI in Krisenregionen geht. Ein Beispiel: In Österreich wurde ein Asylantrag eines schwulen Mannes aus Afghanistan abgelehnt, mit der Begründung, sein Gang oder sein „Gehabe“ hätten nicht auf eine Homosexualität hingewiesen. Solche Entscheidungen können nur in einem Klima getroffen werden, das die Rechten derzeit in Europa schaffen. Das Problem sind doch nicht Menschen, die immigrieren oder auf der Flucht sind, z.B. vor Kriegen oder weil ihnen jegliche Lebensgrundlage genommen wird. Das Problem sind vielmehr Waffenexporte und Kriege, das Problem ist die Schere zwischen Arm und Reich, die immer größer wird. Dagegen möchte ich etwas unternehmen. Es geht mir also darum, für soziale Sicherheit, Frieden statt Aufrüstung und Solidarität zu werben und zu streiten. Die Wahlbeteiligung bei EU Wahlen sind in den vergangenen Jahren immer niedrig ausgefallen. Sie scheint für Manche nicht sonderlich wichtig und interessant. Sie sehen das wahrscheinlich anders. Warum? Die niedrige Wahlbeteiligung hat sicher auch mit dem Demokratiedefizit in der EU zu tun. Das Europäische Parlament erscheint weit weg, die Abgeordneten sind umzingelt von einer Heerschar von Lobbyisten. Da ist natürlich etwas dran. Wir lassen uns nicht von Konzernen kaufen, sondern stehen für ein Verbot von Unternehmensspenden an Parteien. Zugleich braucht es dringend eine Auseinandersetzung darüber, wohin wir mit Europa wollen. Es ist doch ein Mythos, dass die Europäische Union auf einem Wertefundament errichtet wurde. In der EU geht es heute wie im Zeitpunkt seiner Gründung vor allem um freien Waren- und Kapitalverkehr. Das aber können nicht die Werte sein, für die wir stehen. Es braucht endlich soziale Mindeststandards in der EU. Sie darf niemanden im Mittelmeer ertrinken lassen oder Menschen mit Minilöhnen abspeisen, während sie Steuervermeidern wie Amazon und Co. den roten Teppich ausrollt. |
Kommen wir zu einem anderen Thema: Darf es beim Thema Bürgerrechte von Lesben, Schwulen und Transgender in der EU Zugeständnisse für Beitrittskandidaten geben? Nein. Die Kopenhagener Kriterien, die von beitrittswilligen Staaten erfüllt werden müssen, setzen eine demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, die Wahrung der Menschenrechte sowie Achtung und Schutz von Minderheiten voraus. Für DIE LINKE sind Menschenrechte und Bürgerrechte auch nicht verhandelbar. Es ist aber zu beobachten, dass wirt-schaftliche und geostrategische Interessen auch in der EU vor die Wahrung von Menschenrechten rücken. Das Problem gilt also nicht nur für Beitrittskandidaten. Wie meinen sie das? Naja, schauen sie sich mal den Umgang mit Sinti und Roma in manchen Mitgliedstaaten oder den Schutz der Rechte von Geflüchteten an. Im Moment arbeitet die EU zusammen mit Warlods in Libyen und dabei gibt es dort bereits Sklavenmärkte. Oder es ertrinken Menschen im Mittelmeer und es werden Waffenexporte an Kriegsparteien und Krisengebiete genehmigt. Es gibt ein Flüchtlingspakt mit Präsident Erdogan, der die Rechte von Journalisten, Oppositionellen, LSBTTI-Aktivisten, Frauen u.v.m. mit Füßen tritt. Das alles ist doch skandalös. CSDs werden auch 2018 in Ländern wie in Polen oder Serbien verboten oder massiv behindert. Wie können Sie dafür sorgen, dass in der EU die Rechte für sexuelle und geschlechtliche Minderheiten, den Grundsatz der Nicht-Diskriminierung und vor allem das Demonstrationsrecht durchgesetzt werden können? Autoritäre Rechte greifen alles an, was nicht in ihrem Menschenbild passt. Es darf nicht geduldet werden, wenn Menschenrechte missachtet werden - egal wo. Ich sehe übrigens ein ernsthaftes Problem darin, dass die EU bis heute klare und verbindliche Regeln aufstellt und Instrumente hat, was die Fiskalpolitik angeht, aber im Bereich der Sozial- und Grundrechte bleibt es bei vage oder bei Absichtserklärungen. Hier setzt auch unsere EU Kritik an. Wir stehen ein für verbindliche soziale Mindeststandards wie auch absolute Bürgerrechte. Im Übrigen finde ich sehr bedauerlich, dass die EU bisher nicht der europäischen Menschenrechtskonvention beigetreten ist. Ansonsten bin ich der Überzeugung, dass der Kampf gegen diese Rechtsentwicklung nicht lediglich irgendeiner Institution überlassen werden kann, sondern, dass wir uns gemeinsam zur Wehr setzen und eine Bewegung dagegen aufbauen müssen. In Algerien, Marokko und Tunesien ist Homosexualität verboten. Dennoch schätzt die Bundesregierung die Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsstaaten ein. Wie kann man dieses fatale Signal an die Regimes stoppen? Die Bundesregierung könnte es stoppen, indem sie ihre Einschätzung ändert. Aber sie will es nicht und nimmt billigend in Kauf, dass Menschenrechte verletzt werden. Die gesamte Konstruktion der sicheren Herkunftsstaaten ist doch eine Farce. Denn dieses Prinzip untergräbt den Anspruch auf ein unvoreingenommenes und individuelles Verfahren. Dass jetzt auch noch die genannten Länder als sichere Herkunftstaaten gelten sollen, ist besonders grotesk. In diesen Ländern gibt es Folter und die Rechte von Minderheiten sowie Oppositionellen werden unterdrückt. Wir haben bereits in der Vergangenheit als einzige im Bundestag vertretene Partei geschlossen gegen jede Asylrechtsverschärfung gestimmt und das werden wir jetzt auch tun. Und im Bundesrat kann das Gesetz tatsächlich noch gekippt werden, wenn wirklich alle Länder mit Linker und oder Grüner Regierungsbeteiligung dagegen stimmen. Ich kann nur MP Kretschmann auffordern auch dagegen zu stimmen, er ist der einzige der sich das bisher noch offen gehalten hat. |
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